Blut, Schweiß und Medaillen
Wie versprochen starten wir mit dem Rückblick auf die erste Hälfte der Olympiaqualifikation und die damit einhergehenden letzten Monate, die sehr intensiv und eine rasante Achterbahnfahrt waren.
Vorab noch eine kleine Erklärung wie die Qualifikationsphase im Fechten funktioniert. Die Qualifikation startete am 01. April 2023 und endet am 01. April 2024. Sie dauert also genau ein Jahr und dabei zählen alle Wettkämpfe. Dies sind fünf Weltcups, drei Grand Prix, die Europameisterschaft und die Weltmeisterschaft. Mit dem Start der Qualifikationsphase steigt auch der Stresspegel erheblich an. Vor allem die mentale Belastung, die sich in den Tagen vor den Wettkämpfen immer weiter steigert, ist nicht zu unterschätzen. Hier versuche ich oft mit Meditation und Entspannungsübungen zu arbeiten, um mich bestmöglich auf die Wettkämpfe vorzubereiten.
Der erste Weltcup in Plovdiv (Bulgarien), der zur Qualifikation zählte, lief alles andere als gut. Im Einzel musste ich mich im 32er Tableau schon geschlagen geben und auch im Team konnten wir nur den achten Platz erreichen.
Allerdings gab es keine Zeit sich damit aufzuhalten, denn nur einen Tag nachdem wir aus Plovdiv zurück in Deutschland waren, wurde wieder gepackt und mit dem nächsten Flieger ging es nach Hong Kong ins Vorbereitungstrainingslager für den Grand Prix in Shanghai. Nach einem einwöchigen Trainingslager, in dem es vor allem um Akklimatisierung der dortigen Zeitzone und des Klimas geht, ging es weiter nach Shanghai zum ersten Grand Prix der Qualifikation. Und was mich dort erwartete, kann ich auch jetzt noch nur schwer in Worte fassen. Nach einem fehlerlosen Tag und sechs Siegen über sechs Topfechterinnen, konnte ich meinen ersten Grand Prix Sieg feiern. Ein unglaublicher Tag vor einer unglaublichen Kulisse mit hunderten chinesischen Fans in einer Einkaufsmall als Finallocation und natürlich sehr, sehr viele wichtige Punkte für die Olympiaqualifikation.
Nachdem wir nur einige Stunden nach meinem Sieg den Rückflug antraten, war schon jetzt besonders wichtig, wie wir die nächsten Tage und die nur sehr kurze Vorbereitung auf den nächsten Weltcup planten. Denn es blieben nur acht Tage, um mich von dem anstrengenden Wettkampf in Shanghai zu erholen, um dann direkt weiter nach Tiflis (Georgien) zum nächsten Weltcup zu reisen. Dort stand dann wieder ein Einzel- und Mannschaftwettkampf an, bei dem ich natürlich sofort an meine Leistung aus Shanghai anknüpfen wollte. Und das gelang mir auch. Nach einem erneut starken Wettkampftag musste ich mich nur der Italienerin Favaretto im Finale geschlagen geben und konnte die Silbermedaille und wiederum wichtige Punkte mit nach Hause nehmen.
Nachdem wir aus Tiflis zurückgekommen waren, hieß es wiederum sich so schnell wie nur möglich vom Wettkampf zu erholen. Das schließt natürlich vor allem Physiotherapie, Pflege und regenerative Einheiten ein. Denn die Saisonhöhepunkte standen vor der Tür. Aufgrund des immer noch anhaltenden Ukrainekriegs und der Wiederzulassung der Russen und Weißrussen wurde unser Turnierkalender ein weiteres Mal über den Haufen geworfen. Die Europameisterschaft, die im Einzel und im Teamwettbewerb im Rahmen der European Games in Krakau hätte stattfinden sollen, musste nun an getrennten Orten stattfinden. Dies bedeutete für uns eine noch kürzere Vorbereitung und noch mehr Flugreisen.
Die Einzeleuropameisterschaft war dann die erste Station für uns. In Plovdiv angekommen fand ich nicht wirklich in den Wettkampf und musste mich am Ende nach einer Niederlage gegen die Spanierin Marino mit dem 19. Platz im Gesamtklassement zufriedengeben. Zusätzlich dazu musste ich eine Schnittwunde am Schienbein ärztlich versorgen lassen und diese kleben lassen, um direkt für die im Anschluss stattfindende Team-Europameisterschaft wieder fit zu sein.
Nachdem wir aus Plovdiv zurückkehrten und wieder nur wenige Tage zur Vorbereitung auf die Team-EM zur Verfügung hatten, ging es wieder zum Flughafen in Richtung Krakau zu den European Games. Diese waren extrem wichtig für die Olympiaqualifikation und unser großes Ziel war es unsere Bronzemedaille aus dem letzten Jahr zu verteidigen und vor allem unsere direkten Konkurrenten Polen und Ungarn hinter uns zu lassen. Dies ist uns nach zwei wirklich sehr harten Mannschaftskämpfen gegen genau diese Teams gelungen. Mit einem 43:34 Sieg über Polen und einem 45:37 Sieg über Ungarn sicherten wir uns die Bronzemedaille und wichtige Punkte für die Olympiaqualifikation.
Und auch danach gab es keine Möglichkeit durchzuatmen. Nach einer Trainingswoche zuhause in Bonn ging es weiter zu einem Trainingslager in Salzburg, das zur direkten WM-Vorbereitung diente. Nachdem wir auch dieses internationale Trainingslager absolviert hatten, stand direkt die Anreise zur Weltmeisterschaft in Mailand an.
Die WM ist das wichtigste Turnier während der Olympiaqualifikation, da es, im Verglich zu einem Weltcup, die doppelte Punktzahl gibt. Mein Einzelwettkampf begann um 8:30 Uhr am Morgen mit einem souveränen 15:4 Sieg im Tableau der besten 64 über die Britin Tsang. Anschließend konnte ich die Ungarin Kondricz mit 15:8 besiegen und in die Runde der 16 besten Fechterinnen einziehen. Hier stand nun die Vizeweltmeisterin aus Frankreich Ranvier vor mir. Nach einer bereits größeren Führung ließ ich sie noch einmal auf 14:14 herankommen, konnte dann aber den entscheidenden Treffer setzen und so ins Viertelfinale einziehen. Dort war dann die amtierende Olympiasiegerin Lee Kiefer aus den USA an diesem Tag etwas stärker und zog in die Medaillenrunde ein. Nach anfänglicher Enttäuschung über die verpasste Medaille, konnte ich mich dann doch über die so wichtigen Punkte für die Weltrangliste und meine Einzelqualifikation freuen. Nach einem Regenerationstag begann direkt der Teamwettbewerb, bei dem es wiederum das Ziel war vor den direkten Konkurrenten Polen und Ungarn zu landen. Nach zwei Auftaktsiegen gegen Venezuela und Spanien mussten wir uns den Favoritinnen aus Italien im Viertelfinale geschlagen geben. Aber durch die beiden Siege in den Platzierungsgefechten gegen Kanada und China sicherten wir uns den 5.Platz und damit einen Vorsprung in der Olympiaqualifikation vor Polen und Ungarn, die auf Platz 6 und 12 landeten. Mit dem letzten Treffer gegen China verabschiedete ich mich in die wirklich wohlverdiente und dringend nötige Sommerpause.
Danach starte ich dann wieder mit aufgeladenem Akku in die zweite Hälfte der Olympiaqualifikation und freue mich jetzt schon auf alle anstehenden Reisen und Wettkämpfe.
Bis ganz bald,
eure Anne!